Forschung gegen Verschwendung
Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg erhält gemeinsam mit der Ruhr-Universität Bochum von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG eine Millionenförderung, um ein erfolgreiches Forschungsverbundprojekt zur Nutzung erneuerbarer Energieträger in energieintensiven Industrieprozessen fortzusetzen. Für die zweite Förderperiode des universitätsübergreifenden Sonderforschungsbereiches/ Transregio SFB 287 „Bulk-Reaction“ stellt die DFG den Forschungsteams weitere 12 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren zur Verfügung.
Rund 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Ingenieurwissenschaften, der Informatik und der Physik wollen in den kommenden vier Jahren erstmals experimentell abgesicherte Computersimulationsmodelle für schwer kontrollierbare, aber sehr energieintensive industrielle Partikel-Umwandlungsprozesse entwickeln. Bei thermischen Produktionsverfahren, wie sie in Hochtemperaturprozessen für die Verarbeitung von Erzen und Baustoffen, der Produktion von Stahl, der Herstellung von Zement oder Keramik in Hochtemperaturöfen, aber auch bei der Kaffeeröstung oder der Trocknung von Tabletten stattfinden, werden die Partikel der zu verarbeitenden Grundstoffe, Lebensmittel oder Medikamente in einem Reaktor bewegt und von einem Gas durchströmt. Dabei finden chemische Reaktionen statt, die zur Weiterverarbeitung oder Veredelung der Partikel führen.
Dr. Nicole Vorhauer-Huget (li.), Institut für Verfahrenstechnik der Universität Magdeburg, und Professorin Dr.-Ing. Alba Dieguez Alonso (re.), jetzt TU Dortmund, Professur für Transport Processes, waren bereits in der ersten Förderperiode Teil des Sonderforschungsbereichs / Transregio SFB 287 „Bulk-Reaction“ und suchen nach Wegen, den wachsenden Energieverbrauch durch fossile Brennstoffe bei Großproduktionsprozessen zu senken. Ihre Alternative: Mikrowellentechnologie. Statt fossiler Brennstoffe könnten erneuerbare Energieträger wie Wind und Sonne für den Betrieb eingesetzt werden. Mikrowellenreaktoren wirken zudem sehr schnell und so könnte künftig auch bei Großproduktionsprozessen Zeit und damit viel Energie eingespart werden. (Foto: Jana Dünnhaupt / Universität Magdeburg)
Durch eine genauere Abschätzung und Prognose der Abläufe dieser schwer zugänglichen Produktionsprozesse, wollen die Wissenschaftler den bisher kaum beherrschbaren Einsatz von Material und Energie präziser berechnen und damit sowohl den enormen Verbrauch fossiler Brennstoffe sowie den CO2-Ausstoß während dieser Partikel-Produktionsprozesse signifikant reduzieren. Zurzeit fordern diese großindustriellen Verfahren bis zu 17 Prozent des deutschen Energiebedarfs.
Neue Schwerpunkte in der zweiten Förderperiode
„Die Vorhersagen durch Berechnungen von chemischen Reaktionen zwischen Partikeln und Gasen haben immer noch große Schwächen. In der ersten Förderperiode des SFB 287 haben wir erfolgreich die Grundlagen gelegt, diese Berechnungsverfahren zu verbessern“, so der Sprecher des Verbunds, Prof. Dr. Dominique Thévenin, Inhaber des Lehrstuhls für Strömungsmechanik und Strömungstechnik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Das Potenzial der Verfahren werde aber nicht ausgeschöpft. In der industriellen Praxis verliefen die Prozesse immer noch suboptimal und es entstünden Einbußen bei der Qualität der Produkte, zum Beispiel beim Röstgrad von Kaffeebohnen, beim Energieverbrauch und der Emission von Schadstoffen. Der Grund des fehlenden Einblicks in die Prozesse liege einerseits in der schieren Größe der Produktionsanlagen und andererseits an den hohen Temperaturen von bis zu 2.000 Grad Celsius. Dies mache Messungen schwierig bis unmöglich, so Thévenin weiter: „Wir wissen ziemlich genau, was in die Reaktoren hineingeht, und wir wissen auch gut, was herauskommt, aber wir wollen nun endlich auch wissen, was in dem Reaktor vor sich geht.“
Die Herausforderung liegt dabei bei der exakten chemisch-physikalisch-mathematischen Beschreibung der Vorgänge in den hochtemperierten, geschlossenen Systemen trotz mehrerer Millionen vorhandener Partikel. Auch die Rechenzeit dafür muss begrenzt sein, denn nur dann werde es künftig möglich sein, Prozesse in großen Industriereaktoren von mehreren zehn Metern Höhe zu berechnen, so Thévenin. Die Schwierigkeit von experimentellen Messungen liege hingegen eher in den geschlossenen, nicht transparenten Systemen und hohen Temperaturen der dicht gepackten Partikel, so der Strömungstechniker weiter. „Um dieses Problem zu lösen, erforschen wir neue und innovative Messverfahren, zum Beispiel Radartechnik, Positronen-Tomografie oder Magnetresonanz-Tomografie.“
Zu den neuen Herausforderungen, denen sich der Verbund in der zweiten Förderperiode stellt, sagt Prof. Dr. Viktor Scherer, Co-Sprecher des Verbunds und Inhaber des Lehrstuhls Energieanlagen und Energieprozesstechnik der Ruhr-Universität Bochum: „In der ersten Förderperiode haben wir als Energielieferant für die Hochtemperaturprozesse fossile Brennstoffe wie Erdgas betrachtet. In der zweiten Förderperiode widmen wir uns verstärkt einer wichtigen gesellschaftlichen Herausforderung, der Defossilisierung der Prozesse. Im Fokus stehen nun erneuerbare Energieträger wie Wasserstoff und Biomasse sowie die Elektrifizierung der Industrieprozesse durch erneuerbaren elektrischen Strom. Mikrowellenbeheizung von industriellen Reaktoren stellt zum Beispiel eine solche Elektrifizierungsmethode dar.“
Messdaten und Simulationsverfahren intelligent koppeln
Durch die Kombination aus experimentellen Methoden, neuartigen Messverfahren und numerischen Analysen industrieller Prozesse steige die Qualität der Produkte bei sinkendem Anteil von Ausschuss und reduziertem Energieeinsatz, fasst Scherer das langfristige Ziel zusammen. „Unsere Motivation für die weitere Prozessentwicklung ist es, den CO2-Fußabdruck zu verkleinern“, so Scherer weiter. „Das kann uns nur gelingen, wenn wir alle physikalisch-chemischen Prozesse vollständig verstehen.“
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